Hannah Wolf

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„Das neue Barcelona“ (Micheil Saakaschwili, ehemaliger georgischer Präsident), „das Las Vegas des Ostens“ (Kasinowerbung), „das neue Ibiza“ (Reisekatalog), lockt mit Promenade, Technoclubs inklusive Meerblick und Swimmingpool, Moet Champagner für 1300 Lari (ca 520€) und einer Toilette, in der sich jeder Gast sein eigenes Frotteetuch zum einmaligen abtrocknen der Hände aus dem Schränkchen nehmen kann.  Das ‚weiße Haus‘ steht hier schief auf dem Kopf und ist ein Restaurant, ob die Teller nicht von den Tischen rutschen, weiß man nicht. Batumi ist ein Bild. Bestimmend sind die fotogenen Wolkenkratzer, Hotels, nächtlichen Lichtinstallationen, und ein Riesenrad.

Schaut man nicht mehr aus den eher heruntergewirtschafteten Stadtvierteln, deren Straßen aufgerissen, deren meist zweistöckigen Häuser mit Wellblech verkleidet sind, in denen es kaum Straßenbeleuchtung gibt, auf diesen Turm, sondern steht endlich direkt vor ihm, wird klar: die oberen Dreiviertel definieren die Skyline einer ganzen Stadt, die unteren Stockwerke sind noch - oder schon wieder? - ein Skelett. Was oben zerbröselt, hat unten kein Fundament. Auf einem  hölzernen Bauzaun verkünden ausgeblichene Fotografien eine strahlende Zukunft: noch mehr Casinos, noch mehr Hotels.


Der Weg zur Promenade führt vorbei an den Häusern, die an die Vergangenheit Batumis als Sommerfrische- und Fischerort der vorsowjetischen Zeit erinnern. Dazwischen entstehen neue Vergnügungskomplexe. Sie scheinen von Walt Disneys Märchenschlössern inspiriert zu sein: Materialmixe, unsinnige Simse, Türmchen. Sicher kommt gleich Cinderella, begleitet von einem Hofdiener in roter Livree heraus. Den Weg weiter gehend, die Altstadt verlassend, sieht man links einen roten, zu Beginn jeder Sommersaison neu lackierter Fahrradweg, der noch nie von einem Mitglied des ADFCs benutzt wurde, daneben überlebensgroße Drahtfiguren, die mit Roten Herzen das Thema Liebe bearbeiten, dazwischen immer wieder Popcorn- und Spielzeugverkäufer - meistens Verkäuferinnen über dem Pensionsalter -, dann den Strand, Steine, kein Sand, schließlich das Meer. Aber geradeaus, diesen Weg also weiter, hinein in eine Welt aus Legosteinen. Die zehnstöckigen Wohnblöcke aus sozialistischer Zeit sind hier nicht grau, sie sind bunt und von Palmen gesäumt. Die Balkone dienen zu Ausweitung der Wohnungen. Die Bewohner bauen auf ihnen zweite Küchen, neue Wohnzimmer oder einen Hühnerstall. Manchmal ähneln sich benachbarte Balkone sehr, das Material für den Ausbau scheint dann aus der selben Quelle gekommen zu sein. Häufig sind diese nebeneinander liegenden Aussenzimmer aber auch so unterschiedlich, dass man nicht glauben kann, dass sie zur selben Zeit existieren können. Aus den dunklen, offenen Treppenaufgängen strömt kalte, muffig riechende Luft. Zwischen ihnen gibt es gealterte Spielplätze, auf denen Kinder spielen. Die Wellblechverkleidungen der Blöcke rosten, die Häuser bluten.


Diese Bauten werden überragt von größeren, höheren, monumentaleren Unsinnigkeiten, die dann Apartments und Büros ab 1500 US Dollar pro Quadratmeter beherbergen sollen. Belebt sind sie nicht. Die Balkone sind gleichförmig, die Türen verschlossen. Manchmal ist immerhin das Erdgeschoss in Benutzung. Dann ist dort meist eine Dentalklinik untergebracht, die mit lächelnden Menschen, die auch morgen noch kräftig zubeißen können, werben.  

Skelett mit Narrenkappe

Fotoserie und Text, Digitalprint, 2016


Fototextessay, konkret Magazin, 10/2016


Postkartenset für Galerie K‘ – Bremen, 2018



An Orten wie diesen, es sind nicht wenige, überklotzt Batumi seine Vergangenheit um sich dieser zu entledigen: "In five years, Batumi will be the best city in the world." prophezeite Donald Trump, der Weltenbauer, vor ziemlich genau zehn Jahren. Und auch wenn der für 250 Millionen US Dollar geplante „Trump Tower“ bisher nicht gebaut wurde, scheint sich jedes der unzähligen Bauprojekte genau dieser Art von Architektur verpflichtet zu fühlen. Anstelle des Trump Towers wurde ein Miniaturnachbau des schiefen Turms von Pisa gebaut, in ihm eine Brauerei und ein Restaurant.


Aus Las Vegas werden also nicht nur die Kasinos mit ihren Glücksversprechen importiert: Las Vegas ist eine Stadt die ihre Identität durch das Kopieren und Verkitschen von anderen Städten gewinnt. Batumi aber verwechselt sein Vorbild mit einem Original.


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